Stattdessen Loslassen

Loslassen ist eine Kunst, die gelernt sein will. Die Buddhisten lehren, daß der Verstand sich immer an etwas klammern will. Permanent sind wir auf der Suche nach neuer Nahrung für unser Gehirn. Wer losläßt, mag frei sein, er hat aber auch nichts mehr, daß ihm Sicherheit gibt. Tatsächlich ist Sicherheit eines der fundamentalsten Bedürfnisse des Menschen. Es rangiert in der Bedürfnishierarchie nach Maslow gleich nach den physischen Bedürfnissen, die für das Leben zentral sind. Hunger, Durst, Schlaf sind nicht wirklich verhandelbar. Doch wie sieht es mit der Sicherheit aus?

Gerne wird in den Medien davon gesprochen, daß nichts mehr sicher sei. Alles befände sich im Wandel. Es gibt nichts mehr, auf das man sich verlassen kann. Angeblich war das früher anders. Historiker verweisen auf Zeiten, in denen Staat und Kirche den Menschen eine irdische und überirdische Ordnung versprachen. Heutzutage läßt sich an den Nachrichten leicht nachvollziehen, wie staatliche Ordnungen zerbrechen. Tyrannen fallen und Demokratien geraten in den Bann von Demagogen.

Doch parallel dazu scheinen die Menschen, ihren Wunsch nach Sicherheit nicht einfach begraben zu können. In einer Welt der Unsicherheit wächst das Bedürfnis nach zeitlosen Werten. Man sehnt sich nach Dingen, die nicht vergehen. In der Zeit des Wandels lautet das Zauberwort Nach-Haltigkeit. Halten oder Loslassen lautet also die Frage.

Woran kann man sich noch halten? Schlaue Köpfe amüsieren sich darüber, daß der Wandel das einzig Beständige sei. Dessenungeachtet investieren die Menschen in vermeintlich Beständiges. Die Reichen kaufen Häuser und Grundstücke. Die Armen zeugen Kinder und vergrößern die Familie. Wer mehr hat, kann nicht so viel verlieren oder zumindest nicht alles. Ein Leben auf Vorrat. In Krisenzeiten hamstern die Menschen. Sie sorgen vor für den Winter. Selbst das Klopapier kann zu einem Symbol der Sicherheit und Beständigkeit werden. Menschen können sich an allem festhalten und sich so selbst täuschen.

Aber ist nicht auch das Loslassen eine Illusion. Der Mensch hat Bedürfnisse, die er nicht ungestraft negieren kann. Sie gehen sogar über das rein Materielle hinaus. Liebe, Anerkennung, Kommunikation, Respekt, Hoffnung sind alles Dinge, die man sich nicht kaufen kann. Wer sie vermißt, muß schnell erkennen, daß das Leben weniger lebenswert ist. Auch an dieser Stelle sind Illusionen gefragt. Man kann Hörbücher konsumieren, um besser einzuschlafen, weil die Sprecherstimme einem suggeriert, daß man nicht allein ist. Es gab einst Kuschelparties, auf denen sich wildfremde Menschen in den Arm genommen haben. Hollywood verkauft Träume jeglicher Couleur, schafft Stars und läßt das Publikum im Stillen und im Dunklen bangen und hoffen.

Wer fastet, lernt, daß er mit weniger auskommen kann. Fasten ist ein moderner Trend. Man läßt etwas für einen begrenzten Zeitraum los, erkennt, daß man auch ohne die eigene Droge überlebt, und wähnt sich ein neugeborener Mensch. Bis die nächste Verlockung einen einfängt.

In der Psychologie ist längst bekannt, daß es schwerfällt, eine Gewohnheit aufzugeben, wenn man die Leere, die entsteht, nicht mit einer neuen Tätigkeit füllt. Loslassen allein ist kaum möglich. Es geht vielmehr um Transfer. Solange man am Leben teilnimmt, braucht man Dinge, die es füllen. Wer sich beispielsweise in der vorösterlichen Fastenzeit vornimmt, etwas in seinem Leben zu verändern, sollte sich mindestens zwei Fragen stellen:

  1. Womit will ich aufhören?
  2. Was will ich stattdessen tun?

Stattdessen ist eine der Wunderfragen im Coaching. Menschen klagen gerne über ihr Leben. Sie wissen zu genau, was sie nicht wollen und sind damit in Gedanken verstrickt. Loslassen ist gar nicht so schwer, wenn man sich klar macht, was einem neuen Halt geben kann. Loslassen ohne Festhalten ist tatsächlich eine Illusion.

Über Innere-Staerke

Dipl.-Psychologe und Spezialist für Stressmanagement und Soziale Kompetenz. Teamtrainer und Berater in Personalentwicklung und Personaldiagnostik. Gründer von Innere Stärke Trainings und Coachings und Personalentwicklung3000
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