Die Verhältnisse ändern

Menschen neigen dazu, den Einfluß auf das eigene Leben zu überschätzen. Besonders stark ist dieser Effekt, wenn man andere Menschen beurteilt. Wer hat nicht schon einmal einen Obdachlosen mit einer Flasche Bier in der Hand gesehen und gedacht: „Selber schuld.“ Sehr schnell ist ein Urteil gefällt. Und es ist sehr einfach, anderen die Schuld zuzuschieben.

Menschen mit psychischen Problemen machen genau das leider auch mit sich selbst. Wer Opfer eines Verbrechens wurde, weist noch lange nach dem Vorfall einen negativen Selbstwert auf. Wer die Schuld bei sich sucht, hat erst einmal eine Erklärung dafür, warum etwas schiefgelaufen ist. Das führt zu einer scheinbaren nachträglichen Kontrolle. In Wahrheit ist es aber so, daß der eigene Einflußkreis eher begrenzt ist.

Man kann bis zu einem gewissen Grad seine Gedanken und Gefühle wählen, doch auch hier spielen Automatismen eine entscheidende Rolle. Änderungen brauchen Zeit, Geduld und ein kontinuierliches Training. Noch schwieriger wird die Angelegenheit, wenn man andere Menschen beeinflussen will. Es gibt unzählige Bücher zu diesem Thema. Offenbar gibt es einen riesigen Markt, der davon lebt, zu suggerieren, man könnte andere Menschen nach dem eigenen Willen nahezu uneingeschränkt manipulieren.  Manipulation findet tatsächlich statt, doch in den meisten Fällen geht sie, wenn sie erfolgreich ist, weniger von den Menschen als den Umständen aus.

Motivationsgurus hören es nicht gerne, doch vermutlich hatte Marx Recht, als er meinte, es sind die Umstände, die das Denken bestimmten und nicht umgekehrt. Das Denken ist sicherlich nicht unwichtig. Jeder kann sofort das Experiment machen und an etwas Schönes denken. Er spürt sofort, wie sich auch emotional etwas verändert und neue Energie fließt, die wiederum zu Handlungen führen kann, die am Ende die Welt verändern. Es gibt diesen Weg unbestreitbar. Die Frage ist aber auch, gibt es nicht vielleicht einen zweiten, womöglich effektiveren Weg. Aus Sicht der psychologischen Forschung muß man an dieser Stelle von der so genannten Verhältnisprävention sprechen. Wer bisher mit den Versuchen sein Verhalten über das Denken zu ändern, nicht erfolgreich war, sollte an diese Alternative denken.

Der zweite Weg besteht darin, daß man seine Umstände so verändert, daß das Verhalten und letztendlich das Denken einfach folgen müssen. Ein extremes Beispiel wäre der Mann, der sich plötzlich auf einer einsamen Insel wiederfindet. Kein Amazon, kein Computer, kein Handy. Unter diesen extremen Umständen wird er lernen, was bis vor kurzem fast unmöglich erschien. Er wird Feuer machen, Tiere töten und sich eine Hütte bauen, die ihn tatsächlich vor Wind und Wetter schützt. Es sind diese extremen Umstände, die oft dazu führen, daß Menschen über sich hinauswachsen.

Oft geht es aber gar nicht um vergleichbare Extreme. Von außen betrachtet sind es oft Kleinigkeiten, deren Veränderung schwerfällt. Eigentlich sollte es kein Problem sein, weniger zu essen und besser in Form zu kommen.  Oder in einem Meeting öfter seine Meinung zu sagen, sollte möglich sein. Die Liste der Kleinigkeiten, die Menschen gerne verändern würden, deckt sich erstaunlich mit dem, was man sich zu Jahresbeginn häufig vornimmt. Leider reichen aber die Motivation und der gute Wille mit allen wohl erdachten Plänen oft nicht aus.

Die Alternative nun besteht darin, daß man die Verhältnisse so verändert, daß nichts anderes als die Verhaltensänderung mehr möglich ist. Wer weniger Fernsehen will, verkauft seinen Fernseher. Wer mehr Sport machen will, geht nicht in ein Discount-Studio, sondern eines, wo die Monatsbeiträge richtig wehtun. Wer Chinesisch lernen will, fliegt nach Taiwan und trifft bevorzugt neue Freunde von dort. Das Prinzip ist recht einfach. Man verläßt sich nicht auf das Denken und den freien Willen, sondern schränkt beides gezielt ein, sodaß nichts anderes mehr möglich ist.

Clint Eastwood hat hierzu einen klugen Satz gesagt: Jemand hat mal gefragt, warum ich gerne draußen filme und nicht im Studio. Ich habe geantwortet: Im Studio sucht jeder nach einem Stuhl, wo er sich hinsetzen kann. Draußen arbeiten alle.

Wer etwas verändern will, sorgt dafür, daß es keine Stühle gibt, auf denen er sich ausruhen kann. Er wird dann arbeiten, weil es nicht anders geht und erfolgreich sein, weil die Umstände nichts anderes zulassen.

Über Innere-Staerke

Dipl.-Psychologe und Spezialist für Stressmanagement und Soziale Kompetenz. Teamtrainer und Berater in Personalentwicklung und Personaldiagnostik. Gründer von Innere Stärke Trainings und Coachings und Personalentwicklung3000
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