Der Coach, der umarmt

Wenn ein Sportler schwer verletzt ist und noch nicht in der Lage wieder zu trainieren, hat er doch eine Möglichkeit, sich auf eine baldige Rückkehr in die Arena vorzubereiten und den Heilungsprozeß zu beschleunigen. Er kann mental trainieren. Gemeint ist damit, daß man bestimmte Bewegungsabläufe in Gedanken nachvollzieht. Der Fußballer stellt sich vor, wie er die Ecke auf den Elfmeterpunkt zirkelt. Die Eiskunstläuferin wie sie den dreifachen Axel steht. Durch die Vorstellung werden die neuronalen Bahnen im Gehirn, die auch bei den realen motorischen Abläufen aktiviert werden, angetriggert. Diese Aktivierung wiederum stabilisiert und modifiziert die entsprechenden Bahnen. Sie werden allein durch die Ausführung in der Fantasie im Gedächtnis besser verankert und können dann später, wenn der Körper wieder fit ist, auch bei der realen Ausführung leichter abgerufen werden. Diese Art des fantastischen Realismus hat sich bei Sportlern als sehr effektiv herausgestellt.

Neben der biologistischen Erklärung kann man auch an eine psychologische denken. Wer sich ein bestimmtes Verhalten gut vorstellen kann und eventuell vor dem geistigen Auge schon sieht, wie er sein Ziel erreicht, motiviert sich. Diese Motivation beruht einerseits auf der Vorwegnahme einer begehrten Belohnung und andererseits auf einer Steigerung des Selbstvertrauens, das aus der Gewißheit erwächst, seine Ziele auch gegen Widerstände und trotz Rückschlägen erreichen zu können. Wenn man sich etwas vorstellen kann, macht man also schon den ersten entscheidenden Schritt darauf zu. Das ersehnte Ziel rückt näher, auch wenn man gerade noch krank im Bett liegt.

In Corona-Zeiten liegen unzählige Menschen auf der Psycho-Couch. Sie sind allein und oft einsam. Die Langeweile tötet die Kreativität, wenn man sich ihr hingibt. Inneres Wachstum ist kaum möglich, wenn man von anderen und den eigenen Ressourcen isoliert ist, mag es für die Gesundheit aus Sicht eines Virologen auch noch so nützlich sein. Gute Gefühle oder anders gesagt psychische Gesundheit sind ein wichtiger Bestandteil der Gesundheitsdefinition der WHO. Durch die Kontaktsperre werden mindestens zwei der Faktoren dieser ganzheitlichen Gesundheitsinterpretation in Frage gestellt. Psychisch und sozial herrscht ein Ungleichgewicht, das den Menschen blockiert.

Die berühmte Familientherapeutin Virginia Satir behauptete: Wir brauchen vier Umarmungen pro Tag zum Überleben. Acht um uns gut zu fühlen und zwölf zum innerlichen Wachsen. Die Frage ist, was tun, wenn niemand da ist, den man umarmen kann oder darf? Die Antwort kommt aus der Sportpsychologie. Man umarmt virtuell so lange es nicht anders geht. Am besten man schließt die Augen und stellt sich den Menschen vor, von dem man gerade getrennt ist und den man so gerne in den Arm nehmen würde. Dann macht man einen Schritt auf ihn zu, lächelt und nimmt ihn in den Arm. Die Umarmung kann so lange dauern wie es sich gut anfühlt. Es mag sein, daß dabei auch ein Gefühl der Bitternis entsteht, weil es eben im Moment noch eine Fantasie bleibt. Dann sollte man sich ins Gedächtnis rufen, das Fantasie und Realität keine strikt von einander getrennten Welten sind. Es gibt keine Kontaktsperre zwischen unseren Träumen und unseren Zielen. Im Gegenteil: Wenn man weiter intensiv träumt, wird man bald wieder Tore schießen und Körbe werfen. Bis es soweit ist, sollte man dem Frust und der Langeweile einen Korb geben und sich selbst ein guter Coach sein. Ein guter Coach nimmt einen auch manchmal in den Arm. Bei vermeintlichen Niederlagen und bei erhofften und realen Siegen.

Über Innere-Staerke

Dipl.-Psychologe und Spezialist für Stressmanagement und Soziale Kompetenz. Teamtrainer und Berater in Personalentwicklung und Personaldiagnostik. Gründer von Innere Stärke Trainings und Coachings und Personalentwicklung3000
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