20 Schneeflocken

Im Home-Office verändert sich die Wahrnehmung. Kleinigkeiten, denen man sonst wenig Beachtung geschenkt hätte, gewinnen an Bedeutung. Alles, was das triste in der Wohnung hocken unterbricht, ist nun willkommen. Zum Beispiel das Schneetreiben in Berlin am 30. März um 14.15 Uhr. Den Winter über konnte man nur davon träumen. Und nun, da die letzten Tage schon sehr frühlingshaft waren, scheint es doch noch wahr zu werden.  Es schneit in Berlin. Was für eine schöne Überraschung!

Glückliche Menschen sind nicht nur dankbare Menschen, sie bleiben auch neugierig. Welche Erwachsene weiß noch wie eine Schneeflocke schmeckt? Mit dem älter werden gewöhnt man sich an vieles und auch das Wunderbare verschwindet Schritt für Schritt aus dem Bewußtsein. Es kostet Überwindung und Mut, sich lächerlich zu machen und die Welt wieder mit neugierigen Kinderaugen zu sehen.

Der Schnee bringt auch die Natur ins Home-Office. Bekanntlich helfen PC-Bildschirmschoner oder Landschaftsgemälde an der Wand, um den Arbeitsstress zu mildern. Doch wenn die Natur zu einem ins Büro weht, ist es mehr als einen Hauch schöner. Jetzt wäre die Zeit, das Fenster zu öffnen und ihr die Zunge herauszustrecken. Wie damals, als alles neu war und man selbst gierig danach.

Natur macht glücklich. Der kalte Wind im Gesicht, der Regen, der einem die Frisur zerzaust oder eben frischer Schnee, der um die toten Balkonpflanzen wirbelt, all das, verbindet die Menschen mit ihrer natürlichsten, ihrer kindlichen Seite.

Wer ununterbrochen wie ein Roboter auf den Bildschirm starrt, sollte sich bei der Gelegenheit wieder an die 20-20-20 Methode erinnern. Alle 20 Minuten für 20 Sekunden auf einen 20 Meter entfernten Punkt schauen. Oder wie wäre es mit vielen tanzenden Punkten, wie wäre es mit etwas Schnee im Frühling! Man muß auch keine Angst vor Ablenkung haben. Kleine Lebenszeichen steigern die Konzentrationsfähigkeit. Wer gerade mit einem Problem feststeckte, wird sich wundern, was plötzlich alles in Bewegung gerät, wenn der Himmel sich öffnet. Die überflüssigen Ideen schmelzen dahin und zurück bleibt der eine wirklich hilfreiche Geistesblitz.

Ende März sind die Chancen, daß der Schnee von Dauer ist, sehr gering. In Friedrichshain dauerte die himmlische Ablenkung kaum fünf Minuten. Doch das reicht, um sich von einer unnützen Ernsthaftigkeit zu lösen und spielerisch den Kopf frei zu machen. Das Home-Office läuft nicht davon, wenn man sich ein bißchen Ablenkung gönnt. Gute Ideen kommen wieder. Diese Schneeflocken nicht. 

Die fantastische Realist Jorge Luis Borges wurde einmal gefragt, ob sie etwas in ihrem Leben anders machen würde, wenn sie es noch einmal leben könnte. Seine Antwort (in verkürzter Form): Ich würde verrückter sein, mich weniger um die Meinung der anderen kümmern und viel mehr riskieren. Mit Schnee dürfte es in Berlin vorerst vorbei sein. Der nächste Regen kommt aber garantiert. Ein verspielter, mutiger Geist und Bewegung sind mindestens so gut zur Stressreduktion wie ein schöner Bildschirmschoner. Den nächsten Regen kann man aus zwanzig Meter Entfernung beobachten. Kinder lieben es, zwanzig Sekunden oder länger darin zu tanzen und ihre Sorgen zu vergessen. Was für ein kindisches wunderbares Stressmanagement. Vielleicht genau das richtige in Zeiten, in denen so vieles Durcheinander gerät, nur die Natur nicht.

Über Innere-Staerke

Dipl.-Psychologe und Spezialist für Stressmanagement und Soziale Kompetenz. Teamtrainer und Berater in Personalentwicklung und Personaldiagnostik. Gründer von Innere Stärke Trainings und Coachings und Personalentwicklung3000
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